Wir schreiben den 1. April 2020, die 3. Woche des Lockdowns in der Schweiz.

Es ist Zeit in mich hineinzufühlen.

Was macht diese Corona-Krise eigentlich mit mir?

Wie geht es mir? Zeigen sich Ängste, Lagerkoller, Unsicherheit?

Lagerkoller habe ich definitiv noch keinen. Obwohl ich momentan nur ein Mal pro Woche das Haus verlasse, um einkaufen zu gehen, fühle ich mich zu Hause immer noch wohl. Glücklicher wohnen wir (mein Lebenspartner, unsere zwei Katzen und ich) in einem Haus mit genügend Platz und einem grossen Garten. So kann sich jeder bewegen, jeder kann sich zurückziehen und wir können auch ohne das Grundstück zu verlassen in die Natur. In unserem Garten blüht und summt es, es ist meine Oase, mein kleines Paradies und ich war nie glücklicher hier leben zu dürfen.

Diesen Ausblick geniesse ich jeden Tag!

Homeoffice betreibe ich seit letztem Sommer und somit ändert sich hier für mich eigentlich nicht viel. Was mir fehlt sind die physischen Kundenbesuche. Das macht mir unter anderem an meinem Job am meisten Spass. Dass ich rauskomme, die Schweiz mit ihren Städten und Dörfern entdecke, Menschen treffe, immer wieder neue Unternehmen und deren Räumlichkeiten, Mitarbeiter und Gewohnheiten kennenlernen darf. Wenn man hinter die Kulissen blicken kann, zeigen sich ganz neue Bilder und Eindrücke. Obwohl ich weiterhin alle vereinbarten Termine «wahrnehmen» kann, sind diese nicht vor Ort, sondern online, im Moment in den Stuben und Zimmern der Leute. Es ist als würde man sie zu Hause besuchen und erhält einen noch viel tieferen Blick hinein in das Leben der Menschen, inklusive Geräuschkulisse im Hintergrund oder Familienmitglieder, die durchs Bild laufen. Es ist irgendwie seltsam und intim zugleich. Es entsteht mehr Nähe als in einem kahlen Meetingraum, das finde ich schön. Man spricht eher über Privates, weil man sich gerade in einem privaten Umfeld aufhält. Die Grenzen zwischen Privat und Business wird aufgeweicht, ja verwässert. Wir alle sitzen im gleichen Boot, das verbindet und das ist tröstlich.

Im Februar ist aus einem Mandat ein Arbeitgeber geworden. Wir wollten eh langfristig zusammenarbeiten und so hat es sich ergeben, dass ich einen Teilzeit-Arbeitsvertrag unterzeichnet habe. Nach anfänglichem Hadern mit mir selbst und dem Gefühl des Scheiterns, dass ich es doch nicht geschafft habe, 100% als Selbständige zu überleben, bin ich jetzt mehr als froh darüber. Natürlich habe ich meine anfänglichen Zweifel schon vor der Corona-Krise überwunden und ich stehe dazu, dass ich eben nur Teilzeit-Selbständige bin. In dieser Situation jetzt muss ich sagen, ist es absolut ein Segen. Man wird sich der Sicherheit eines geregelten Einkommens erst bewusst, wenn man es nicht mehr hat.

Was meine Tätigkeit als Selbständige angeht, die ist auch für mich momentan schwierig. Die geplanten Stunden sind zurückgegangen, denn auch für meine Auftraggeber ist die Situation eine Herausforderung. Macht es Sinn jemand Externen zu bezahlen, wenn man für die eigenen Mitarbeiter Kurzarbeit anmelden muss? Eine schwierige Entscheidung oder eigentlich nicht. Auch wenn ich das Geld natürlich gut gebrauchen kann, kann ich es irgendwie nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, dass ich ein Unternehmen zusätzlich belaste, das finanziell schon auf wackeligen Beinen steht und dessen Ziel es ist, einigermassen unbeschadet aus dieser Krise rauszukommen. Bei einem anderen Mandat sind es weniger Stunden, weil einfach weniger Leads reinkommen. Die gesamte Wirtschaft ist heruntergefahren. Die Mühlen mahlen noch, aber sehr langsam. Es scheint alles in Zeitlupe zu geschehen. Mein Zeitgefühl ist in den letzten drei Wochen sowieso irgendwie abhanden gekommen. Ich weiss nie genau, welcher Tag es ist und wie lange es her ist, seit ich das letzte Mal mit jemandem gesprochen habe. Manchmal kommt es mir vor, als wäre es ewig her, dabei war es erst vor drei Tagen, bei anderen denke ich, mit dem habe ich doch gerade erst geschrieben, aber in Tat und Wahrheit ist es drei Monate her. Es fühlt sich irgendwie alles so schwammig an, wie in einer Blase. Und das, obwohl sich an meiner Arbeitsweise und meinem Büro, welches ja seit letztem August immer zu Hause war, gar nichts geändert hat. Ist das eine Schockstarre, eine Lähmungserscheinung, warum fühle ich mich, wie ich mich fühle?

Ich fühle mich gut. Gesundheitlich, aber auch geistig. Ich habe keine Existenzangst, keine Unsicherheit. Ich bin erstaunlicherweise ziemlich tiefen-entspannt und im Vertrauen. Im Vertrauen zu mir selbst, dass ich es überstehen werde, dass ich meinen Gürtel noch enger schnallen und trotzdem meine Rechnungen bezahlen kann, dass ich eine erfolgreiche Zukunft vor mir habe und dass diese Krise aller Widrigkeit zum Trotz ganz viele Chancen birgt. Vielleicht ist es diese Ruhe, die alles so schwammig erscheinen lässt. Ich bin nicht so unter Strom, wie ich das von früher kenne. Ich muss nicht herumrennen, irgendwelchen Zielen hinterher, wie ein Esel einer Karotte an einer Fischerrute.

Ungewohnt, aber nicht unangenehm.

Wie bereits erwähnt, gibt mir der Teilzeitlohn, den ich seit Februar erhalte, natürlich eine Sicherheit. Es reicht, um meine Rechnungen wie Miete, Krankenkasse, Natel, etc. zu bezahlen und wahrscheinlich reicht es auch knapp alle weiteren laufenden Kosten zu bezahlen. Ein Vorteil an diesem ganzen Lockdown ist, dass ich eigentlich recht wenig Geld brauche. Keine Bahnfahrten, praktisch keine Benzinkosten, kein auswärts essen, keine After-Work-Drinks, das spart doch einiges an Geld. Eingekauft wird einmal in der Woche, genau das, was wir für die nächsten sieben Tage brauchen, diese Ausgaben bleiben somit auch recht konstant. Sparen werde ich gerade nicht viel können, aber zumindest muss ich momentan nicht auf meine eiserne Reserve zurückgreifen, das ist schon mal ein sehr gutes Gefühl.

Ich fühle mich vielen Menschen sehr nah, obwohl ich physisch weit von ihnen getrennt bin. Meine beste Freundin ist auf einer Sabbatical-Weltreise und weilt gerade in Thailand. Ich vermisse sie sehr und obwohl wir so weit voneinander getrennt sind, ist sie mir näher als je zuvor. Wir schreiben häufiger, als früher und wir geben einander Kraft, dass jede ihre aktuelle Situation meistern kann. Ich im Lockdown in der Schweiz, sie im Lockdown in Thailand, zusammen mit ein paar anderen gestrandeten Touristen in einer Villa in Phuket. Zurückkommen ist für sie keine Option und den Kopf in den Sand stecken ist für mich keine. Auch andere Menschen, die ich noch gar nicht so lange kenne, geben mir Kraft und Mut. Die Solidarität, die man überall spürt, motiviert dran zu bleiben. Für mich, meine Auftraggeber und meine Liebsten.

Mir geht es wohl immer noch viel besser als manch anderen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich fühle mich gestützt und geschützt von den Menschen in meinem Umfeld und ich spüre eine innere Ruhe, wie ich sie schon lange nicht mehr hatte. Es ist alles im Fluss, langsam, aber im Fluss. Ich bin gesund, ich habe ein Dach über dem Kopf und essen auf dem Tisch. Alles andere wird sich fügen und es kommt wie es kommen muss.

Es werden wieder bessere Zeiten kommen und ich hoffe, dass wir die guten Dinge, die positiven Eigenschaften, die wir jetzt erfahren und erleben, mitnehmen in die Zeit danach. Dass wir zu alten Werten zurückkehren und näher zusammenrücken. Als Gemeinschaft, als Gesellschaft – als Menschheit.

« Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende. »

Oscar Wilde

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