Niemand spricht gerne über das Scheitern, über Situationen die schwierig sind, über Niederlagen.

Warum ist das so?

Weil wir alle Selbstzweifel haben und ein Rückschlag diese bestätigt. Niemand gibt gerne zu, dass etwas nicht geklappt hat. Denn alle reden ja nur davon, wie toll sie sind und wie wundervoll alles ist. In so einer Situation zugeben, dass es bei einem selber nicht so rosig aussieht? Schwierig!

Warum sollten wir das ändern?

Ganz einfach. Weil es niemanden gibt, bei dem nicht auch mal etwas schiefläuft, der einen Auftrag verliert, der im schlimmsten Fall sein Unternehmen an die Wand fährt. Und selbst das, es ist OK. Es ist menschlich, es gehört dazu. Ohne Fehler, ohne Rückschläge ist es uns nicht möglich, uns zu entwickeln, zu wachsen, besser zu werden.

Als Kind scheitern wir täglich an den verschiedensten Aufgaben, die das Leben an uns stellt. Laufen, sprechen, schreiben, lesen, rechnen, mit Lego etwas bauen, und, und, und. Hören wir deshalb damit auf? Nein, wir machen weiter, bis wir es können. Es ist normal.

Und wie sagt man so schön: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.

  • Wann kommt der Zeitpunkt, an dem wir uns «verbieten» zu scheitern und Fehler zu machen?
  • Wird da irgendwann ein unsichtbarer Schalter umgelegt?
  • Ist es der Druck der Gesellschaft, perfekt und makellos zu sein?
  • Liegt es an unseren Vorgesetzten, unseren Team-Kollegen, die scheinbar nie Fehler machen?

Wollen wir so sein wie sie, obwohl wir tief im Inneren wissen, dass das gar nicht sein kann.

Nobody is perfect! Und das ist gut so!

Ich bin der Ansicht, dass wir gut daran täten über unsere Fehler, übers Scheitern zu sprechen. Denn wenn wir den Mut aufbringen, finden wir vielleicht andere, denen es ebenso geht. Das schweisst zusammen. Zudem geben wir anderen die Chance, die gleichen Fehler nicht auch zu machen.

Somit möchte ich mit gutem Beispiel voran gehen und nehme jetzt den Mut zusammen euch zu erzählen, wie ich im Februar mit meinem Business Modell gescheitert bin.

Im August 2019 habe ich mich selbständig gemacht mit dem Ziel, Startups und Kleinunternehmen im Sales zu unterstützen. Strategisch, beratend und operativ. Kleine Unternehmen und Startups erreichen irgendwann eine kritische Grösse, bei der eigentlich ein Sales-Mitarbeiter benötigt wird, um neue Kunden zu akquirieren und einen höheren Grad an Professionalität auszustrahlen. In der Regel sind gute Sales-Mitarbeiter aber teuer und es besteht das Risiko, dass mehr Aufträge reingeholt werden, als ausgeführt werden können. In so einem Moment würde ich auf den Plan treten und punktuell unterstützen. Hands-On, praktisch, operativ. Den Verkauf für sie ankurbeln. Ich habe ein grosses Netzwerk und das Talent die richtigen Menschen zusammenzubringen.

Erstaunlicherweise bin ich super gestartet. Ich hatte bereits ab September mein erstes Mandat und rasch viele Anfragen, sogar aus Deutschland. Es schien, als ob ich eine Marktlücke gefunden hätte. Das Jahr 2020 hat grossartig begonnen. Mit bestehenden Mandaten war ich eigentlich schon knapp 80% ausgelastet und es waren noch einige Verhandlungen offen. Es war unglaublich! Die Nachfrage war grösser, als ich überhaupt Zeit hatte, alles abzuwickeln. Ein Traum für jeden, der sich selbständig macht.

Doch dann kam der Hammer – mitten ins Gesicht!

Im Rahmen meiner Prüfung und Anerkennung als selbständig Erwerbende wurde mir von der SVA (zuständige Behörde) im Februar mitgeteilt, dass einige meiner Mandate darauf hinweisen, nicht als selbständig erwerbend zu gelten und sie mir darum keine Bestätigung senden können. Sie müssten das erst alles abklären.

Generell gilt es als scheinselbständig, wenn ich im Namen einer Drittfirma Aufgaben ausführe und dafür ein Honorar oder eine Provision erhalte. Im Schweizer Arbeitsrecht gibt es den Begriff Freelancer nicht. Und Scheinselbständigkeit wird zum Schutz des Arbeitnehmers vom Staat stark kontrolliert und hart geahndet. Die Konsequenzen müssen die Arbeitgeber tragen und diese können einen grossen administrative als auch finanzielle Aufwände bedeuten. Es geht dabei um die Kosten für Sozialbeiträge wie AHV, ALV und Pensionskasse, sowie weitere Versicherungen wie Unfall oder Krankentaggeld, Ferienansprüche, usw. All die «Vorzüge» von denen man als Angestellter automatisch profitiert und um die man als selbständig Erwerbender mit Einzelunternehmen selbst kümmern muss, teilweise aber gar nicht absichern kann. So wie die Arbeitslosenversicherung. Darauf hat man als Einzelunternehmer keinen Anspruch.

Ich wusste zwar, dass der Begriff Freelancer in der Schweiz nicht anerkannt ist, aber die Konsequenzen waren mir nicht bewusst. Darauf hat mich nie jemand hingewiesen und ich war naiv genug, dies nicht abzuklären. Die Rechtslage ist aber leider ziemlich eindeutig und so wird mein Business Modell «Sales as a Service», mit welchem ich operative Aufgaben im Verkauf für Startups und Kleinunternehmen übernehme, nicht funktionieren. Die Auftraggeber wären gezwungen mich anzustellen, das widerspricht aber natürlich dem flexiblen Ansatz und dem Konzept der unkomplizierten, kurzfristigen Unterstützung.

Schöner Moment!! Business Plan am Arsch!

Tut mir leid, aber Dinge schönreden, machen sie auch nicht besser.

Nicht nur, dass ich naiv und dumm genug war, mich in Sicherheit zu wiegen, ich musste dann einerseits mit bestehenden Mandaten eine Lösung finden, damit die nicht in Schwierigkeiten kommen und andererseits laufende Verhandlungen abbrechen, weil ich die Aufträge so nicht annehmen/ausführen kann.

Es war nie meine Intention meinen Auftraggebern zu schaden, es war letztlich nur Unwissen und Gutgläubigkeit, was zum Destaster geführt hat.

So stand ich vor dem Scherbenhaufen meines Business Plans, meiner Aufträge und der Marke, die ich in den vergangenen 6 Monaten aufgebaut hatte. Alle Anstrengungen meine Geschichte zu erzählen, mich sichtbar zu machen – umsonst! Rien ne va plus – alles zurück auf Start!

Ich fühlte mich erschöpft, gescheitert, meinem Sinn beraubt.

Hört sich sehr dramatisch an, aber genauso hat sich das angefühlt. Ich war einige Tage im kompletten «panic mode», hatte zum ersten Mal in meinem Leben richtige Existenzangst, ich habe viel geweint und ich war komplett gelähmt.

Nachdem ich mich genügend in Selbstmitleid gesuhlt und um den Verlust meiner Existenzgrundlage geweint habe, war es aber an der Zeit, dass ich mich wieder aufrichte. The show must go on!

Aufgeben war keine Option. Was habe ich also getan?

Mein Angebot habe ich so zurechtgebogen, dass der operative Teil wegfällt. Ich unterstütze also Startups und Kleinunternehmen «nur» auf strategischer Ebene, bin Beraterin und Coach oder übernehme kleinere Aufträge wie das Erstellen von Vorlagen für Offerten und Standard-Mails, sowie Checklisten für das Sales-Team.

Wo stehe ich denn heute, knapp 5 Monate später und immer noch in der Corona-Krise?

  • Aus dem Mandat bei Videodesign.ch wurde eine Teilzeitstelle. Wir wollten sowieso langfristig zusammenarbeiten, der Job macht unglaublich Spass und war natürlich mit Corona ein Glücksfall. Die Tinte auf dem Vertrag war kaum getrocknet, als der Lockdown kam.
  • Ein Teil der Mandate, die ich im Februar hatte, kann ich weiterhin machen, aber eines musste ich auflösen und laufende Verhandlungen abbrechen.
  • Mit der Behörde konnte ich alles regeln und sie haben meine Anfrage neu geprüft. Die Bestätigung von der SVA habe ich mittlerweile erhalten und bin offiziell anerkannt als selbständig Erwerbende.
  • Anfangs Juli habe ich mein erstes 1:1 Mentoring gestartet. Mein Mentee und ich stehen noch ganz am Anfang, aber wir gehen den Weg gemeinsam und ich bin gespannt, wo wir enden werden.
  • Ich durfte zwei online Barcamps miterleben und aktiv als Sessiongeberin und Moderatorin mitwirken. Das hat unglaublich Spass gemacht und aufgezeigt, welche Fähigkeiten und Talente in mir stecken.
  • Darum geht in den nächsten Wochen mein Workshop-Programm online. Ich bin dabei eine kleine Workshop-Serie aufzugleisen mit Themen rund um den Verkauf.
  • Nach dem zweiten Barcamp wurde ich Teil des PR-Rudels rund um Sandra Kiel, Engin Eser und Hakan Cengiz. Gemeinsam mit Bärbel Redlich werden wir die Event-Branche aufmischen. Mit digitalen oder hybriden Formaten. Ich freue mich auf diese Herausforderung und darauf im DACH-Raum tätig sein zu können.

Es hat sich also alles zum Guten gewendet und ich bin mehr als nur glücklich und dankbar.

Was habe ich gelernt aus meinem Scheitern?

Es geht immer irgendwie weiter. Ich habe die Kraft und die Fähigkeit, mich weiterzuentwickeln, zu wachsen, Dinge anzunehmen, aber gleichzeitig nach vorne zu schauen. Wo eine Türe zugeht, geht eine andere auf. Ich muss nur die Augen offen haben dafür.

Warum erzähle ich dir das alles?

Weil ich dir Mut machen möchte, auch über deine Fehlschläge zu sprechen. Weil es ungemein befreiend ist und weil du schlussendlich immer etwas lernst. Und genau darum geht es aus den Fehlern zu lernen. Aus den eigenen und auch aus denen von anderen.

Wenn wir anfangen eine positive Fehlerkultur zu entwickeln, haben wir weniger Angst davor Fehler zu machen. Und wenn wir welche machen, können wir mit ihnen umgehen, weil wir wissen, Fehler gehören zum Leben dazu.

14 Responses

  1. Graziana. Was soll ich sage? Danke. Vielen Dank, dass Du mit gutem Beispiel voran gehst, und uns hinter der oftmals perfekten Fassade von so vielen Selbstständigen blicken lässt. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Und jeder wird früher oder später hinfallen. Das ist ganz normal. Du lebst grandios vor, wie man wieder aufsteht. Danke Graziana.

    • Herzlichen Dank, Stephan. Fehler zu machen gehört zum Leben dazu. Es gibt wohl niemanden, der nicht auch mal gescheiter ist. Wie schlimm man es empfindet, ist sehr individuell. Wichtig ist, dass man daraus lernt und weiter macht.

  2. Liebe Graziana, Deine Geschichte klingt für mich nicht nach scheitern, sondern eher nach Korrektur deines Business. Toll gemacht!!! Ich bin davon überzeugt, dass wir nur lernen, wenn wir etwas korrigieren müssen… platt ausgedrückt: am meisten habe ich aus Fehlern gelernt… Du bist eine taffe junge Frau und deine Pläne bzw Deine Ziele… beeindruckend. Weiter so und du kennst mein Motto: Never give up 👍👍

    • Vielen lieben Dank, Angelika. Es mag für Aussenstehende vielleicht nicht nach scheitern aussehen, sondern einfach nach einem Formfehler. Für mich hat es sich aber so angefühlt.
      Aber ich bin völlig bei dir, es ist immer eine Chance etwas zu lernen, zu korrigieren und noch besser zu machen. Aufgeben ist nie eine Option! 👍

  3. Vielen Dank für deine Offenheit. In einer Kultur, wo Scheitern ein Tabuthema ist, finde eich deine Geschichte mutig und hoffe, dass noch viele Menschen deinem Beispiel folgen. Aus Misserfolgen lernt nan schliesslich und manchmal halt nötig. Solange man sich wieder aufrafft und sich nicht unterkriegen lässt, kann es zu unerwarteten Erfolgen führen.

    • Danke für deine Worte und die Ermutigung, über Fehler oder das Scheitern zu sprechen, Meltem.
      Ja, wenn wir offen dafür sind, aus Fehlern zu lernen, haben wir doch schon etwas gewonnen.
      Jeder Fehler, jeder Rückschlag ist eine Erfahrung und jede Erfahrung macht uns reifer, stärker und reicher.

    • Das ist so eine berührende Geschichte, Graziana. Alle Weichen auf Erfolg gestellt, der Flieger sozusagen schon abgehoben und auf Kurs und dann kommt so etwas vollkommen unerwartetes. Das hätte mich glaub auch komplett aus der Bahn geworfen. Gleichzeitig zeigt deine Geschichte, wie wenig das Schicksal oft in unserer Hand liegt, selbst bei aller Umsicht und Sorgfalt im Vorfeld. Ist das naiv? Vielleicht. Vielleicht gehört es aber auch einfach zum Leben dazu, dass wir gar keine perfekten Entscheidungen treffen können. Entweder wir treffen unsere Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen, auf das Risiko hin, dass es auch schiefgehen kann – oder wir hinterfragen uns so lange, dass wir nie starten und wie gelähmt zurückbleiben. Das kann es auch nicht sein. Rückblickend war es möglicherweise also trotzdem der richtige Entscheid, da du sonst auch nicht dort stehen würdest wo du heute bist. Hut ab für deinen Mut!

      • Herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar, Annette.
        Absolut, ich habe auch gelernt, dass ich niemals alles kontrollieren kann und so gut man alles abklärt, es bleibt immer ein blinder Fleck. Mich hat er eingeholt, aber ich wollte den Traum nicht ganz sterben lassen, also habe ich eine angepasste Route eingeschlagen.
        Und ja, hätte ich das von Anfang an gewusst, hätte ich mich wohl nie selbständig gemacht.
        Wer weiss, was noch alles kommt in Zukunft. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich reagieren kann und die Fähigkeit habe, mich den Umständen anzupassen ohne mich komplett zu verbiegen.

  4. Liebe Graziana,
    vielen Dank für Deine Geschichte … es ist so mutig, darüber zu erzählen und ermutigt gleichzeitig andere, ehrlich das anzuschauen, was sie gerade auf den Weg bringen möchten … Scheitern ist wachsen, wie Du schreibst. Das Geschenk: Wahre Größe. Ich habe Dich in der Zeit kennengelernt als es wohl am Intensivsten war … und sehe Deine wunderbare Präsenz im Raum. Hut ab und herzlichen Glückwunsch zu dem Ergebnis. Darauf kannst Du wahrhaftig stolz sein. Deine Heldenreise 🙂

    • Herzlichen Dank, Katrin.
      Es ermutigt andere und befreit mich zugleich. Von der Last, dieses «Geheimnis» mit mir rum zu tragen. Ich lasse es los, indem ich es erzähle.
      Danke für deine schönen und lieben Worte. Ich schätze dich unglaublich und deine Art, Dinge aus einer anderen Perspektive anzuschauen, haben mich in den letzten Monaten nachhaltig geprägt.

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